Trügerische Gemeinschaften – Sekten im Film

Beitrag von Christopher 29.04.2022 5 Minuten 1

Geborgenheit empfinden, sich gut aufgehoben fühlen und einer glücklichen Zukunft entgegenblicken – das alles möchte wohl jeder. Erst recht in aufgewühlten, unsicheren Zeiten wie diesen. Zunutze machen sich die Ängste vieler Menschen und die Sehnsucht nach Halt seit jeher Sekten, obskure religiöse Gemeinschaften, die zum Teil sehr aggressiv mit dem ultimativen Seelenheil werben.

Dass in derartigen, meistens autoritär geführten Gruppierungen hinter der schönen Fassade nicht selten Missbrauch und Gewalt lauern, offenbaren leider immer wieder schockierende Berichte in den Medien. Die Abgründe kultischer Gemeinschaften befeuerten und befeuern auch die Fantasie von Filmemachern, wie etwa Paul Thomas Andersons «The Master» aus dem Jahr 2012 beweist. Die Ausstrahlung dieses prominent besetzten Psychodramas am 30. April auf Servus TV ist unser Aufhänger, um einige markante Werke über Sekten und deren Wirkung in Erinnerung zu rufen.

«The Wicker Man» (1973)

Viele Filme, in denen Sekten eine zentrale Rolle spielen, beziehen sich auf Robin Hardys Folkloreklassiker «The Wicker Man», der den strenggläubigen Polizisten Howie (Edward Woodward) auf eine abgeschiedene Insel führt, wo er das Verschwinden eines kleinen Mädchen untersuchen will. Die Einheimischen blocken alle Fragen ab. Und sehr schnell erkennt der Ermittler, dass Lord Summerisle (Christopher Lee), das exzentrische Oberhaupt der Gemeinde, und seine Gefolgschaft einem heidnischen Fruchtbarkeitskult huldigen.

Im Zeitgeist der 1970er-Jahre: Der Folkloreklassiker «The Wicker Man» ©IMDb/Rialto Pictures/Studiocanal

Noch heute, fast fünfzig Jahre nach seiner Veröffentlichung, erzeugt der eigenwillige Mix aus Horrormär, Musical und Krimi starkes Unbehagen. Sobald der Protagonist einen Fuss auf das Eiland setzt, macht sich das Gefühl einer diffusen Bedrohung breit. Die Alarmglocken schrillen früh. Und doch trifft einen das in seiner Konsequenz schockierende, von allerhand schrägen Einlagen gesäumte Ende mit voller Wucht. «The Wicker Man» fängt nicht nur treffend den Zeitgeist der 1970er-Jahre ein – gemeint sind vor allem die aufkommende Naturverbundenheit und die Forderung nach freier Liebe. Parallel lässt der Film auch zwei komplett unterschiedliche Glaubenssysteme aufeinanderprallen. Die Qualität von Hardys Kultstreifen untermauert nicht zuletzt der Blick auf das 2006 angelaufene Remake gleichen Namens mit Nicolas Cage, das bei weitem keine so schaurig-skurrile Atmosphäre heraufbeschwören kann.

«Ticket to Heaven» (1981)

International wenig bekannt, aber vielleicht einer der besten Sektenfilme überhaupt: «Ticket to Heaven», ein von Ralph L. Thomas inszeniertes, auf einem Sachbuch basierendes kanadisches Drama, dreht sich um den jungen Lehrer David (Nick Mancuso), der nach dem Ende seiner Beziehung in einem Schulungszentrum einer kultischen Gemeinschaft landet. Schnell gibt er dem dortigen Gruppendruck und den Einflüsterungen nach und verwandelt sich in einen gänzlich anderen Menschen. Sein bester Freund Larry (Saul Rubinek) und weitere Vertraute versuchen schliesslich, ihn aus den Fängen der religiösen Gruppe zu befreien.

In Kanada bei den Genie Awards mehrfach prämiert: «Ticket to Heaven» ©IMDb

Wie Gehirnwäsche vonstattengeht und welche Sorgen Angehörige von Sektenmitgliedern durchleben, arbeiten die Macher ebenso differenziert wie ungeschönt heraus. Seine nachhallende Wirkung verdankt «Ticket to Heaven» vor allem dem stark aufspielenden Ensemble. Kein Wunder, dass es bei den kanadischen Oscars, den sogenannten Genie Awards, neben den Preisen für den besten Film und den besten Schnitt auch zwei Darstellertrophäen gab.

«The Master» (2012)

Eine fragwürdige religiöse Organisation, die in den letzten Jahrzehnten Dauergast in den Medien war, ist zweifellos Scientology. Deren Gründer L. Ron Hubbard diente dem US-amerikanischen Autorenfilmer Paul Thomas Anderson als Inspirationsquelle für sein psychologisches Drama «The Master», in dem Joaquin Phoenix, als Kind selbst in einer Sekte aufgewachsen, den Weltkriegsveteranen Freddie Quell mimt, der in die Fänge des charismatischen Gurus Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman) gerät.

Joaquin Phoenix, der als Kind selbst in einer Sekte war, in «The Master» ©Cineman

Nuanciert, subtil und gleichzeitig schonungslos legt der Regisseur am Beispiel des komplexen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem Heilsversprecher und dem neuen Mitglied offen, wie der Wunsch nach Erlösung und die Suche nach einem Platz im Leben zu Manipulationszwecken missbraucht werden. Spannung ergibt sich besonders aus dem eindringlichen Duell der beiden Hauptdarsteller, die diesen keineswegs leicht zugänglichen Film zu einem echten Erlebnis machen. «The Master» läuft am 30. April 2022 auf Servus TV.

«The Invitation» (2015)

Menschen, die trauern, die eine nahestehende Person verloren haben und sich mit ihrem Schmerz alleine fühlen, gehören zum klassischen Beuteschema einer Sekte, da sie verletzlich, und damit beeinflussbar, regelrecht formbar sind. Dieser Gedanke liegt Karyn Kusamas Psychothriller «The Invitation» zugrunde, in dem der vom Tod seines Kindes und dem Ende seiner Ehe gezeichnete Will (Logan Marshall-Green) mit seiner neuen Partnerin (Emayatzy Corinealdi) anlässlich einer Dinnerparty seiner Ex Eden (Tammy Blanchard) in sein altes Haus zurückkehrt. Ein Besuch, der ihm sichtlich zu schaffen macht. Unbehaglich fühlt er sich auch, weil sich einige der Gäste höchst seltsam benehmen.

Einem Geheimnis auf der Spur? Logan Marshall-Green in «The Invitation» ©IMDb

Ebenso wie der Protagonist, dessen subjektive Perspektive den nur langsam eskalierenden Film dominiert, kommt dem Zuschauer das Zusammentreffen, die an den Tag gelegte Heiterkeit von Anfang an verdächtig vor. Irgendetwas Geheimnisvolles scheint hier im Gange zu sein. Oder steigert sich die seelisch angeschlagene, manchmal wie ein Geist umherwandelnde Hauptfigur bloss in ihre Beobachtungen hinein? Geschickt spielt Kusama mit unterschiedlichen Erklärungsmöglichkeiten und lässt uns über Erinnerungsfragmente, übersteigerte Geräusche und Logan Marshall-Greens feinfühlige Darbietung an Wills Trauma teilhaben. In Erinnerung behalten dürfte man auch das an sich nicht sonderlich spektakuläre, im Kontext der Geschichte aber beängstigende Schlussbild. «The Invitation» ist als On Demand bei Teleboy verfgübar.

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