Leonardo DiCaprio spielt reale Persönlichkeiten

Beitrag von Christopher 19.11.2021 7 Minuten 0

Ganze dreissig Jahre dauert die Leinwandkarriere des Hollywood-Superstars Leonardo DiCaprio nun schon an. Drei Dekaden, in denen der spätestens seit „Titantic“ weltweit bekannte Schauspieler verschiedenste Genres beackerte und in ganz unterschiedliche Rollen schlüpfte. Immer wieder gab er auch realen Persönlichkeiten sein Gesicht und legte in den Darbietungen Zeugnis seines aussergewöhnlichen Könnens ab. Anlässlich der Arte-Ausstrahlung von Clint Eastwoods Biopic „J. Edgar“ am 21.11., das DiCaprio als legendären FBI-Chef J. Edgar Hoover zeigt, wollen wir die sechs markantesten seiner bislang neun nicht fiktiven Parts prägnant vorstellen. 

„This Boy’s Life“ (1993)

Darum geht’s: In den 1950er Jahren wird der Teenager Tobias Wolff (Leonardo DiCaprio) nach einer Zeit des Vagabundierens mit seiner Mutter Caroline (Ellen Barkin) erst sesshaft, als sie einen Mann namens Dwight Hansen (Robert De Niro) heiratet. Von handfesten Minderwertigkeitskomplexen geplagt, lässt sein Stiefvater fortan seine Aggressionen an dem Jugendlichen aus und verkauft die Gewaltausbrüche als notwendige Erziehungsmassnahmen.

DiCaprios Verdienst: In seiner Darstellung des späteren Schriftstellers und Literaturprofessors Tobias Wolff beweist DiCaprio bereits, wie intensiv er sich in seine Figuren einfühlen kann. Im Film liefert er eine beachtliche emotionale Bandbreite ab. Viele Kritiker betonten seinerzeit zu Recht, dass der junge Schauspieler gegenüber einem Kinogiganten wie Robert De Niro keineswegs abfiele.

Robert De Niro, Leonardo DiCaprio, and Ellen Barkin in This Boy’s Life (1993) ©Warner Bros

„Catch Me If You Can” (2002)

Darum geht’s: In den 1960er Jahren reisst der Teenager Frank Abagnale Junior (Leonardo DiCaprio) nach der Trennung seiner Eltern (Nathalie Baye und Christopher Walken) von zu Hause aus und finanziert sich fortan mit Scheckbetrügereien einen luxuriösen Lebensstil. Um sich dem Zugriff des FBI-Ermittlers Carl Hanratty (Tom Hanks) zu entziehen, wechselt der unter anderem als Pilot und Arzt posierende Hochstapler ständig seine Identität. 

DiCaprios Verdienst: Den spitzbübischen Charme, den DiCaprio schon in seinen Frühwerken regelmässig aufblitzen liess, bringt er auch in die von Steven Spielberg betont leichtfüssig inszenierte Geschichte des berüchtigten Betrügers Frank Abagnale Junior ein. Der Präsenz und Ausstrahlung des Schauspielers ist es zu verdanken, dass man den Winkelzügen dieses doch etwas geltungssüchtigen Gauners bereitwillig folgt. Einen Wermutstropfen muss man allerdings verkraften: Die meisten Frauenfiguren sind arg eindimensional geraten und lassen sich vom Protagonisten fast immer sofort um den Finger wickeln.

Leonardo DiCaprio, Karrie MacLaine, and Hilary Rose Zalman in Catch Me If You Can (2002) © 2002 – Dreamworks LLC

„The Aviator“ (2004)

Darum geht’s: Der in jungen Jahren durch das Erbe seiner Eltern reich gewordene Howard Hughes (Leonardo DiCaprio) will in Hollywood Fuss fassen und geht mit Leidenschaft sein erstes wichtiges Leinwandprojekt, das Kriegsdrama „Hell’s Angels“, an. Auch vor einem neuen Dreh scheut er nicht zurück, als er erkennt, wie angesagt der frisch aufgekommene Tonfilm ist. In der Schauspielerin Katharine Hepburn findet er eine grosse Liebe. Und zudem investiert Hughes immer mehr Geld und Zeit in eine weitere Passion: die Entwicklung und Konstruktion von Flugzeugen. Sein Streben nach frischen Erfolgen und seine Zwangsneurosen machen dem Tycoon jedoch zunehmend zu schaffen.

DiCaprios Verdienst: Versuchten manche Kritiker, DiCaprio in den Anfangsjahren seiner Karriere als ein Milchgesicht ohne besonders ausgeprägte Schauspielfähigkeiten darzustellen, zeigt Martin Scorseses opulent ausgestattetes biografisches Drama über den Exzentriker Howard Hughes das genaue Gegenteil. Sehr wohl ist der gebürtige Kalifornier in der Lage, ein komplexes Charakterporträt zu tragen. Das Feuer, aber auch die Verletzlichkeit des eigenwilligen Unternehmers, Filmemachers und Luftfahrtpioniers arbeitet DiCaprio in seiner Rolleninterpretation überzeugend heraus.

Leonardo DiCaprio in The Aviator (2004)© IMDb

„J. Edgar“ (2011)

Darum geht’s: Im Jahr 1919 ist der junge J. Edgar Hoover (Leonardo DiCaprio) im Justizministerium tätig. Nach einem Bombenanschlag auf den Behördenleiter Alexander Mitchell Palmer (Geoffrey Pierson) soll er an der Spitze einer neuen Einheit radikale anarchistische Kräfte bekämpfen. Von 1924 an steht Hoover dem FBI vor und erwirbt sich in der Folgezeit einen Ruf als knallharter Gangster- und Kommunistenjäger. Während er nach aussen streng puritanisch auftritt, führt er im Verborgenen eine Beziehung mit seinem Stellvertreter Clyde Tolson (Armie Hammer).

DiCaprios Verdienst: J. Edgar Hoover, dessen Homosexualität bis zum heutigen Tag unbestätigt ist, wird in Clint Eastwoods nicht wertendem Biopic als kompromissloser Machtstratege und widersprüchlicher, zerrissener Mensch gezeichnet. Ein Profil, das dem Vollblutschauspieler Leonardo DiCaprio die Möglichkeit für einen facettenreichen, subtilen Auftritt bietet. Auch wenn der Film selbst nicht immer die richtige Entscheidung trifft, zeigt sein Hauptdarsteller einmal mehr, dass er trotz Starqualitäten hinter jeder Rolle verschwinden kann. 

Leonardo DiCaprio in J. Edgar (2011) © 2011 Warner Bros. Entertainment Inc.

„The Wolf of Wall Street“ (2013)

Darum geht’s: In den 1980er Jahren will der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) sein Glück an der Wall Street versuchen und erhält erste hilfreiche Tipps vom Branchenexperten Mark Hanna (Matthew McConaughey). Als er seinen Job verliert, heuert der junge Mann bei einer Firma an, die sich auf den Verkauf von Pennystocks spezialisiert hat. Sein Maklertalent bringt ihm schnell ein bescheidenes Vermögen ein. Zusammen mit seinem Nachbarn Donnie Azoff (Jonah Hill) gründet Belfort schliesslich das Unternehmen Stratton Oakmont und steigt damit zu einem gefeierten Börsenzampano auf. Seine nicht legalen Geschäfte rufen jedoch das FBI auf den Plan.

DiCaprios Verdienst: Passend zur zackigen, in Orgien und Obszönitäten schwelgenden Inszenierung von Regiealtmeister Martin Scorsese liefert Leonardo DiCaprio in dieser Wall-Street-Groteske als Jordan Belfort eine hemmungslos entfesselte Performance ab, die einerseits zum Losprusten einlädt, den Protagonisten gleichzeitig aber auch demontiert. Sein nicht zuletzt körperlich an die Grenzen gehender Einsatz brachte dem Hollywood-Star seine vierte Oscar-Nominierung ein. Entgegennehmen durfte er die begehrteste Trophäe des US-Filmgeschäfts allerdings auch dieses Mal nicht.

Leonardo DiCaprio in The Wolf of Wall Street (2013) © 2013 Paramount Pictures

„The Revenant – Der Rückkehrer“ (2015)

Darum geht’s: In den 1820er Jahren begleitet der Trapper Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) mit seinem halbindigenen Sohn Hawk (Forrest Goodluck) eine Gruppe Pelzjäger durch unwegsames Gelände im Norden der USA. Nach einem Angriff von Ureinwohnern wollen sich die Überlebenden zum nächsten Fort durchschlagen. Unterwegs kommt Glass dummerweise einer Grizzlybärin und ihrem Jungen in die Quere und kann das Muttertier mit letzter Kraft töten. Captain Andrew Henry (Domhnall Gleeson), der Anführer der kleinen Truppe, will dem Schwerverletzten eigentlich den Gnadenschuss verpassen, trägt dann aber Hawk, dem unerfahrenen Jim Bridger (Will Poulter) und dem skrupellosen John Fitzgerald (Tom Hardy) auf, beim todgeweihten Glass zu wachen und ihn später ordentlich zu begraben. Nachdem Fitzgerald Hawk ermordet und Bridger mit Lügen zum Aufbruch bewegt hat, kämpft sich Hugh zurück ins Leben und sinnt auf Rache.

DiCaprios Verdienst: Was für „The Wolf of Wall Street“ galt, trifft hier erst recht zu: Um dem Zuschauer das Leiden des real existierenden Hugh Glass nahezubringen, scheut DiCaprio vor keiner physischen Herausforderung zurück. Mitunter kriecht und humpelt er fast nackt durch eine menschenfeindliche Landschaft und fängt so den unbändigen Überlebenswillen ein, der dieses raue, bildgewaltige, zwischendurch in flirrende Halluzinationen abtauchende Abenteuerdrama zu einer aufwühlenden Leinwanderfahrung macht. Nicht unverdient erhielt DiCaprio für seinen Mut und seine bis in die letzte Faser intensive Darbietung nach zuvor vier glücklosen Nominierungen endlich die lange ersehnte Oscar-Statue. 

Leonardo DiCaprio in The Revenant (2015)

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