Nachtcafé
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm?
Talk
Deutschland
1987
Ein nach der Geburt freudig ausgerufenes "Ganz der Vater!" erfüllt mit Stolz. Ein im Streit geäußertes "Du bist genau wie deine Mutter!" hingegen kann eine verletzende Beleidigung sein. Eltern und Kinder haben ein Band fürs Leben, das nicht immer ganz unkompliziert ist. Alle Menschen lernen als Kinder zuerst von ihren Eltern. Die Eltern geben ihnen Regeln und Werte mit auf den Weg und bereiten sie aufs Leben vor. Kinder ahmen sie nach. Häufig sind Vater und Mutter das größte Vorbild. So gibt es viel Gleichheit zwischen den beiden Generationen. Das gilt neben dem Aussehen oft auch für Interessen und Berufswahl - aber auch für Laster und Charakterschwächen. Der Apfel fällt eben bekanntlich nicht weit vom Stamm - oder doch? Einige scheinen gleich von einem ganz anderen Baum gefallen zu sein. Denn neben Ähnlichkeiten gibt es auch zahlreiche Unterschiede zwischen Eltern und ihren Kindern. Und das Verhalten von Mutter und Vater kann bei den Sprösslingen sogar in den unbändigen Wunsch nach Abgrenzung umschlagen: Manche Kinder stemmen sich mit aller Kraft dagegen, so zu leben wie ihre Eltern. So kommt es zu Lebensentwürfen, die nicht unterschiedlicher sein könnten - Reibungspunkte inklusive. Doch werden alle Menschen spätestens mit zunehmendem Alter unseren Eltern immer ähnlicher? In Teilen leben sie nach, was die Eltern ihnen vorleben und häufig wiederholen sie Muster und auch Fehler ihrer Eltern - bewusst oder unbewusst. Ist das Eltern-Kind-Verhältnis ein lebenslanges Pendeln zwischen Nachahmung und Abgrenzung? Und werden alle am Ende doch wie ihre Eltern - ob sie wollen oder nicht?
Die Gäste bei Michael Steinbrecher:
"Der Sohn von ..." - das hat Danny Humphreys oft über sich gelesen. Dabei war das Verhältnis zu seinem exzentrischen Vater, dem 70er-Jahre-Star Les Humphreys, alles andere als väterlich. Früh entfloh seine Mutter, Schlagerikone Dunja Rajter, der Beziehung. Trotzdem erbte Danny nicht nur die optische Ähnlichkeit, sondern auch sein musikalisches Talent: "Wenn ich mich anziehen würde wie er, mit Kotletten und Latzhose, könnte man die Les-Humphries-Singers 2.0 machen."
Abgrenzung und Wiederannäherung - für die Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello sind dies die ganz normalen und wichtigen Prozesse in Eltern-Kind-Beziehungen. Denn ohne Abgrenzung können junge Menschen keine eigene Persönlichkeit ausbilden, so die Psychotherapeutin. "Die Definition der eigenen Identität gehört zu den großen Entwicklungsaufgaben in unserem Leben."
Eigentlich wollte Nicole Zepter nie werden wie ihre Mutter. Doch mit Mitte 30 musste die Journalistin feststellen, dass sie in einer unglücklichen Liebesbeziehung unbewusst die Geschichte ihrer Mutter wiederholt hatte. Intensiv versuchte sie, die sich wiederholenden Verhaltensmuster zu verstehen: "Das Gute ist, man kann den Apfel weiter wegwerfen, wenn man einmal begreift, warum man in diesen Verhaltensweisen fast gefangen war."
Ganz bewusst hingegen hat sich Gerd Klein dafür entschieden, das Erbe seiner Vorfahren anzutreten. Bereits in siebter Generation bewirtschaftet seine Familie ein Weingut an der Mosel. Dass nun, fast 200 Jahre später, auch sein Sohn die Herausforderung angenommen hat, erfüllt den Winzer mit großem Stolz: "Die lange Familientradition hat mich schon immer fasziniert und ist bis heute auch eine Art Verpflichtung."
Dörte Thümmler trat unfreiwillig die Nachfolge an. Als Leistungsturnerin sollte sie den unerfüllten Traum der Mutter verwirklichen und wurde bereits mit acht Jahren aufs Sportinternat geschickt. Leistung, Schmerz und Drill bestimmten die Kindheit der Ausnahmeathletin. Mit weitreichenden Folgen, auch für ihre eigene Mutterrolle: "Als ich mein erstes Kind bekam, war meine größte Angst, dass ich etwas übersehe und es meinem Kind so schlecht geht, wie es mir ging."
Erst als Jugendlicher erfuhr Rainer Höß von der Erblast seiner Familie: Sein Großvater war der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß. Mit dem Wissen um das furchtbare Familienerbe haderte er jahrelang, arbeitete seine Familiengeschichte auf und brach den Kontakt zur gesamten Familie ab. Eine Erkenntnis aber bleibt: "Ich bin Teil von Rudolf Höß und er ist Teil von mir. Ob ich das will oder nicht. Aber ich definiere mich über das, was und wie ich es tue."
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